Sie saß am Fenster und starrte hinaus in die Dunkelheit, es war bestimmt schon halb zwei morgens. Sie sollte eigentlich längst schlafen, morgen war die Hochzeit. Der Tag von dem sie hoffte er würde sich nie abspielen. Vereinzelt brannten kleine Lichter, was so spät in der Nacht wunderschön aussah. Das Fenster stand einen Spalt breit offen, gerade wehte eine leichte Brise herein. Sie zog die kalte Luft durch die Nase ein, einen Moment hielt sie inne um den Geruch zu genießen, dann atmete sie langsam wieder aus. Sie konnte sich nicht aufraffen zu ihrem Bett hinüber zu gehen, ihre Beine waren schwer. Lina hasste sie, ihre zukünftige Stiefmutter, und vor allem hasste sie dieses Wort. Als ob Stiefmutter irgendetwas mit Muttersein zu tun hätte. Kein Scheidungskind, da war sie sich sicher, sah eine solche Person, die neu ins Leben der Familie trat, auch nur annäherungsweise als Mutter an. Als ihr das durch den Kopf ging, fiel ihr Blick auf ihre Arme, auf ihren Beinen lagen sie, reglos. Die Narben zeichneten sich klar ab. Weiße Striche zogen sich über ihre Unterarme. Eigentlich hatte sie das nie gewollt, sie wollte nicht so sein. Früher war sie glücklich, aber das lag schon lange Zeit zurück. Morgen würde sie ein Kleid tragen, und ein Jäckchen darüber. Sie wollte das so. Keiner sollte ihre Vergangenheit nur an ihrem Äußeren erkennen, keinen wollte sie an sich heran lassen, zu tief saß der Schmerz noch immer. Lina hatte schon überlegt überhaupt gar nicht erst aufzutauchen, bei der Hochzeit, keiner würde sie vermissen. Aber diese Idee hatte sie sich schnell aus dem Kopf geschlagen, das ging nicht, das ging einfach nicht. Sie warf einen Blick auf ihren Wecker, 2:23, sie zwang sich dazu auf zu stehen. Sie ging zum Bett, dort angelangt rollte sie sich zu einer Kugel zusammen, so wie sie es früher immer getan hatte. Irgendwann würde alles besser werden, da war sie sich sicher. Auch wenn sie davon noch weit entfernt war, war es ein tröstender Gedanke und sie schlief erschöpft ein.
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